Nächste Events

60. Hessensternflug am 15.Juni 2024 in Breitscheid-Haiger (EDGB).

Zur Anmeldung

Über Rock-Stars und See-Legenden

Die Alpen bieten für Piloten anspruchsvolle Bedingungen in atemberaubender Landschaft. Max und Sabine Unger sind mit einer PA-28 über Tiroler Ötztal, Südtiroler Dolomiten, Alpenhauptkamm in den Hohen Tauern geflogen und mit den Klassikern der Bergwelt auf  Tuchfühlung gegangen.

 

„Wiener! Lernt die Italiener kennen.“, lautet die erste Zeile tausender Flugblätter, die der berühmte italienische Nationaldichter und Freizeitpilot Gabrielle d´Ánnunzio am 09. August 1918 nach einem mehrstündigen Flug von Padua aus über die Alpen aus einem Bomber des Typs Ansaldo S.V.A.-5 über Wien abwirft. Elf Maschinen der 87.Squadriglia wagten den gefährlichen Alpenflug mit dem Literaten, der auf dem Beobachterplatz einer zweisitzigen Version als Passagier mitflog; sieben gelangten unbehelligt ans Ziel. Prosa statt Bomben! Und alle Maschinen kehrten wie durch ein Wunder auch heil nach Italien zurück.

So erzählt es die wohl älteste Luftfahrtsammlung der Welt, die Sammlung Caproni, die heute in einer Halle am Flughafen Trient gezeigt wird. Hier kann man Gabrielle d´Ánnunzios Aufruf auf einem Originalflugblatt lesen und dann seinen Blick über eines der Exemplare der fragilen Doppeldecker schweifen lassen, die an diesem historischen Alpenflug beteiligt waren. Mein erster Gedanke dazu: Das war ganz sicher ziemlich kalt. Garantiert wesentlich kälter als in unserer Piper PA-28, mit der wir nach dem Start in Egelsbach bei Frankfurt nach knapp drei Stunden in Trient gelandet sind. Bei ausgezeichneter Sicht ging es vorbei an Schloss Neuschwanstein durch das Ötztal übers Timmelsjoch und Meran.

 

Die große alpine Bühne öffnete sich bereits im längsten Quertal der Alpen, dem 70 Kilometer langen Ötztal, mit sanften Wiesenlandschaften, hochalpiner Schroffheit, Dreitausendern dicht an dicht und eisigen Gletschern.

Bei Sölden haben wir während des Fluges Spuren eines weiteren, wenn auch imaginären, Superstars entdeckt, und einen Blick auf einen der Drehorte des jüngsten James-Bond-Films „Spectre“ geworfen: das spektakuläre „ice Q“-Gipfelrestaurant im Eiswürfel-Design, hoch oben im Skigebiet. Einen weiteren „Filmhelden“, Ötzi, den Protagonisten in „Der Mann aus dem Eis“, haben wir bei der Passquerung zwar nicht erspäht, aber zumindest eine Ahnung davon bekommen, welche Strecken dieser „Iceman“ vor mehr als 5000 Jahren in unwirtlicher Umgebung zurückgelegt haben muss - wie später auch Hannibal im Jahr 218 vor Christus, der mit 60 000 Kriegern und 37 Elefanten den Alpenhauptkamm in nur zehn Tagen überquerte. Steile Bergflanken mussten sie überwinden, das sich plötzlich verändernde Wetter ertragen, die Lawinengefahr abschätzen. Die Alpen sind eben zu jeder Zeit ein Schauplatz, an dem alles eine Spur größer und dramatischer ist als im Flachland. Doch ab Meran folgt ein liebliches Landschaftskino mit saftigen Almwiesen, Apfelplantagen und Weinfeldern im Tal der Etsch.

Beim Anflug auf Piste 18 geht es unmittelbar über die Altstadt Trients hinweg. Viele weiße Stände sind rund um den zentralen Platz, der Piazza Duomo, aufgebaut, denn es ist Markttag. Der Flugplatz Trient, umgeben von Bergen mit klangvollen Namen wie Marzola, Monte Bondone und Cima Palon, ist nach dem Flugpionier und Flugzeugbauer Gianni Caproni benannt. Gleich neben dem Flugplatz befindet sich das Museum – ein Tipp für alle ankommenden Aviateure und Luftfahrtinteressierte. Als wir es besuchen, zeigte es neben historischen Flugzeugen auch eine interessante Ausstellung mit dem Titel „Space Girls Space Woman“, die sich mit Frauen in der Raumfahrt und Weltfraumforschung befasst.

 

Dolce Vita in Trient

Per Taxi geht es vorbei an der  Universität von Trient in die nahegelegene Altstadt, zur Piazza Duomo, dem „Wohnzimmer“ der Stadt  mit barockem Neptunbrunnen. Zu Füßen des spärlich bekleideten Meeresgottes, der seinen Dreizack reckt, schlendern Touristen, rasten Einheimische, radeln Studenten gemütlich über das Pflaster. Cafe- und Restaurantbesucher sitzen an Tischen im Freien, auch Anfang Oktober noch bis in den späten Abend hinein - und die meisten trinken „Spritz“, das Kultgetränk aus weißem Schaumwein aus dem Veneto, Sodawasser und einer Beigabe leicht bitteren Likörs. Eiswürfel klimpern in Gläsern, und der Tourist begreift, dass dolce vita hier kein Klischee ist, sondern Realität und überlieferte Tradition.

Man kann den Blick schweifen lassen über die Kathedrale mit großer Fensterrose, die Rella-Häuser mit ihren prächtig bemalten Fassaden, die gotischen Steinpaläste und Renaissancebauten. Überall buntes Treiben in gemütlichen Gassen – trotz aller Probleme scheinen sich die Italiener ihre beneidenswerte Leichtigkeit zu bewahren. Studentenkneipen bieten zu gutem Wein köstliche Snacks: Minipizzen, Lasagnestückchen, Salate, Pasta werden in Schalen und großen Schüsseln auf ein langes Holzbrett gestellt, und jeder füllt sein kleines Bambusschälchen sooft er mag. Ein Restaurantbesuch erübrigt sich dadurch oft. Mediterrane Lebensfreude in alpenländischer Umgebung, hier verschmilzt das Beste aus zwei Welten. Ganz entspannt. Mittendrin. Und die Dolomiten sind genauso nah wie der Gardasee.

Wir beschließen entlang der Dolomiten nach Zell am See weiterzufliegen. Zunächst aber noch eine ausgiebige Schleife in den Süden über den tiefblauen Gardasee, entlang der schützenden Hügel, die den See umschließen und bei mildem Mikroklima Zitruspflanzen, Zypressen und Agaven gedeihen lassen. Am westlichen Ufer befindet sich übrigens auch die fantastische  Villa des eingangs zitierten Dichters d´Annunzio. Gen Süden wird es zunehmend diesig, denn der Wind schiebt die feuchten Luftmassen, die sich in der Poebene bis Venedig ausgebreitet haben, allmählich über den See und in die Täler. Wir kehren um, sind doch die Alpen das Ziel, und erreichen bald Bozen, vorbei am Rosengarten-Gebirge mit seinen nackten, bleichen Felsnadeln.

Bald haben wir den gut 2500 Meter hohen Schlern mit seinem markanten, stockartigen Westpfeiler im Blick, das Wahrzeichen Südtirols, gefolgt von den mildgrünen Wiesen der Seiser Alm, der größten Hochweide Europas. Beeindruckend erscheinen das alleinstehende Massiv aus Langkofel und Platkofel und östlich der große, plateauförmige Sellastock. Das verwunschen wirkende, schroff- karge, hellgraue Dolomitgestein, ein Relikt frühzeitlicher Meerestiefen, geht laut Südtiroler Sagenwelt auf Zeiten zurück, als es noch Riesen, Zwerge und Wetterhexen in den Alpentälern gab – wen wundert´s angesichts dieser Ausblicke! Bei Brixen entdecken wir unter uns die bunten Schirme der Paraglider und fliegen weiter durch das Pustertal, vorbei an Toblach und gen Lienz. Jedoch nicht, ohne vorher einen Blick auf die dramatisch anmutenden „ Drei Zinnen“ geworfen zu haben. Die Zinnen unter uns und klare, hellblaue Bergseen schimmernd in der Ferne im Blick, wundern wir uns nicht, dass Alpin-Ikone Reinhold Messner diese Gegend als landschaftlich schönste Bergregion der Erde bezeichnet.

 

In 11 000 Fuß am Großglockner

Schließlich passieren wir die italienisch-österreichische Grenze, und nach Lienz gilt es, erneut den Alpenhauptkamm zu überqueren: Heiligenblut, Großglockner, Hochtor, das Surren des Motors, mystische, atemberaubende Atmosphäre in knapp 11 000 Fuß.

Der Flugplatz Zell am See ist bald erreicht und per Taxi geht’s nach Kaprun. Hier, auf der Nordseite der Alpen, ist´s im Inneren geheizter Gaststätten gemütlicher. Und statt Pasta steht heimisches Wild auf der Speisekarte.

Von Kaprun aus gelangt man bequem per Bus zum Gletscherjet, der einen hinauf ins belebte Wintersportgebiet des Kitzsteinhorns bringt. Umsteigen in die Gipfelbahn, und wenig später befindet man sich schon auf  der ersten Plattform in 3000 Metern Höhe, mitten im Skigebiet.

Bunte Jacken der Skifahrer und Freerider, fröhliche Farbtupfer auf weißer Piste und Snowpark bieten tolle Gipfelrundblicke!

Doch es kommt noch besser: wir tauchen ein in das Innere, die Magie und Stille des Berges. Denn durch das Kitzsteinhorn hindurch führt ein 360 Meter langer Stollen – für die Passage bitte warm anziehen! - zu einer weiteren Panoramaplattform. Auf dem leicht ansteigenden Weg, entlang interessanter Infostationen etwa zu Kristall-, Gold-  und Silberschätzen, Geologie und  Permafrost, spürt man sogleich die dünne Luft. Am anderen Ende  angekommen, empfängt uns ein beeindruckendes Panorama schneebedeckter hochalpiner Gipfel, die erhaben und scheinbar voller Energie im gleißenden Licht erstrahlen. Der grandiose Ausblick über den Nationalpark Hohe Tauern wird gekrönt vom rund elf Kilometer entfernten Großglockner, der mit seinen 3798 Metern als höchster Berg Österreichs alle umliegenden Gipfel überragt.

 

Durch das schön Ennstal

Zwei Tage später heben wir in Zell am See ab, fliegen vorbei am Watzmann mit klarer Sicht auf den Königsee und bis Salzburg, den Wilder Kaiser, die Kitzbühler Alpen und den  weiß glänzenden Großvenediger. Wir durchfliegen das breite Ennstal und landen in Niederöblarn. Ein älterer Herr, der gerade durch die Alpen geflogen wurde, meint entzückt: „Woas Scheeneres gibt’s nimmer“. Und eine junge Frau erzählt fröhlich, während sie im Flugplatzcafe einen Capucchino zubereitet: „Unser Hausberg, der  Grimming, auf den sind wir stolz, grad im Herbst ist der wunderbar!“  Wir spazieren durch das idyllische Niederöblarn, sehen ganz offenbar glücklichen Kühen beim Faulenzen auf duftenden Wiesen zu, betrachten hübsche Kapellen, kleine Gehöfte und sehen, wie ein Bauer sich an einem frisch geschlachteten Schwein abarbeitet. Fleisch direkt vom Erzeuger - unmittelbarer geht´s kaum.

Im Flug reihen sich die Seen des Salzkammergutes, die allesamt Relikte von Gletschern der letzten Eiszeit sind, aneinander: Toplitz-, Grundl- und Altausee - auch hier wurde übrigens eine Szene für den Bond-Film „Spectre“ gedreht -, der Traunsee mit dem hohen, schroffen Traunstein am Ostufer, dessen steile Wände direkt in den See abfallen. Atter-, Mond- , Wolfgang- Hallstättersee und viele mehr, allesamt fischreich, mit klarem Wasser und auch bei Tauchern und Seglern beliebt. Am benachbarten, eindrucksvoll mächtigen Gebirgsmassiv des Dachstein,  mit seinen vielfältigen Routen und Klettersteigen ein El Dorado für Bergsteiger, schimmern gleich mehrere Gletscher in der Sonne um die Wette.

Später, auf dem Heimflug nach Egelsbach, über den Chiemgauer Alpen wunderschöne Almplateaus im bunten Herbstlaub. Und mit einem letzten Blick auf die Zugspitze verabschieden wir uns von den Alpen. Adieu, schroffe Berge!

Text und Bilder Max und Sabine Unger